
Das "Netzwerk Soforthilfe für Geflüchtete München"
Das neue virtuelle „Netzwerk Soforthilfe für Geflüchtete München“ hat sich als ideale Plattform für eine schnelle und effiziente Orientierung und Kommunikation vieler Organisationen im Bereich Migration und Flucht erwiesen. Es war die Antwort auf die durch die Corona-Krise entstandenen Probleme für Geflüchtete und in diesem Bereich tätigen Organisationen.
Inzwischen haben sich viele Strukturen und Prozesse wieder „normalisiert“ und doch bleiben dringende Forderungen.
Anfang April hatten sich Lichterkette e.V., Bellevue di Monaco e.G., das Interkulturelle Forum e.V., der Münchner Flüchtlingsrat e.V., Caritas willkommen-in-muenchen.de, REGSAM sowie der Paritätische Wohlfahrtsverband Oberbayern e.V. in einer Koordinierungsgruppe zusammengeschlossen. „Nach nur vier Wochen hatte das Netzwerk bereits über 110 registrierte Mitglieder aus 50 verschiedenen Organisationen“, erzählt Nicole Flach, Mitglied der Koordinierungsgruppe. Ein für alle Teilnehmenden passendes Videokonferenz-System war nicht leicht zu finden –schließlich hat jede IT-Abteilung vor allem großer Organisationen unterschiedliche Vorgaben. Oft konnten hochmotivierte Mitarbeiter*innen nur über private Kanäle mitmachen. Das Netzwerk hat eine Internetseite gegründet, https://willkommen-in-muenchen.de/corona-arbeitsgruppen und in der heißen Phase wurden wöchentliche Newsletter verschickt. Die Koordinierungsgruppe verwaltete insgesamt sieben Arbeitsgruppen und deren Untergruppen, es gab wöchentliche Calls, Bedarfe wurden erfasst und abgestimmt, ein neuer Metanewsletter (meta-newsletter [at] willkommen-in-muenchen.de) belieferte über 20 Newsletter anderer Akteure*innen mit passenden Informationen, so manche Akteure*innen erfuhren zum ersten Mal voneinander. In einer Fragebogen-Umfrage lobten die Netzwerk-Mitglieder vor allem die Orientierung in der unübersichtlichen Hoch-Phase sowie den gegenseitigen Informationsaustausch und die schnellen Arbeitsergebnisse.
Wesentliche Ergebnisse und Erfolge in Beispielen
- Die AG „Lernhilfe Erwachsene und Azubis“ erstellte unter anderem eine regelmäßig aktualisierte Übersicht der diversen Unterstützungs-Angebote. Die Zuläufe bei den jeweiligen Organisationen haben gezeigt, dass diese Übersicht gut genutzt wurde. Zusammen mit dem Münchner Bildungswerk hat die AG zudem Online-Seminare angeboten, um Ehrenamtliche im Umgang mit Videokonferenztools zu schulen – mit „durchschlagendem Erfolg“, sagt Bettina Händel von willkommen-in-muenchen.de. „Wir haben die Online-Seminare mehrfach durchgeführt, so groß war das Interesse.“ Es gab einen Austausch zu aktuellen Schwierigkeiten bei Patenschaften, Lernhilfen, der Jobvermittlung und zu offenen Stellen.
- Die Untergruppe „Schulcamps“ der AG „Lernhilfe für Schulkinder“ entwickelte ein Konzept, das es Kindern mit Flucht- oder Migrationshintergrund ermöglicht, in den Sommerferien verpassten Stoff aufzuholen – als Kombination aus Unterricht und Spaß. Noch läuft die Suche nach einer Organisation für die praktische Umsetzung und das Netzwerk freut sich über Meldungen.
- Die AG „Geflüchtete Frauen* in München” hat im Projekt „Spread the word“ geflüchtete Frauen* als Multiplikator*innen geschult, um diese vulnerable Zielgruppe trägerübergreifend weiter bestmöglich in den Unterkünften zu erreichen: In wöchentlichen Onlinemeetings erhielten sieben Frauen* aus ganz Bayern in einfacher Sprache gebündelte Informationen und Angebote um diese an Freund*innen, Familien, Nachbar*innen weiterzugeben. „Viele Frauen* haben kein Internet, keine Email-Adresse, auch die fehlenden Sprachkenntnisse sind eine Barriere. Mit unseren Multiplikator*innen entsteht ein wichtiger Kontakt zu ihnen“, sagt Ruth Zorawski vom Paritätischen Oberbayern und Mitglied der Koordinierungsgruppe des Netzwerks. Das Vorhaben hat sich zu einem festen Kooperationsprojekt von „Ärzte der Welt“, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Bezirksverband Oberbayern und der Inneren Mission München entwickelt.
- Die Arbeitsgruppe „Internetversorgung“ hat den Ist-Zustand zum Stand der Internetversorgung aus nahezu allen Münchner Unterkünften zusammengetragen und steht in regem Austausch mit entsprechenden NGOs, städtischen Behörden, Stadtratsmitgliedern, Wohlfahrtsverbänden und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Eine Umfrage im Netzwerk zeigt, dass in circa 50% der Unterkünfte in Trägerschaft der Stadt München und der Regierung Oberbayern die Internetversorgung unzureichend oder nicht vorhanden ist. Im Stadtrat wurde bereits 2016 beschlossen, dass alle Unterkünfte in städtischer Trägerschaft mit WLAN ausgestattet werden sollen. Seitdem verbessert sich die Versorgung nur schleppend. Die Regierung von Oberbayern fühlt sich für das Thema Zugang zu Internet und damit zu wichtigen Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten nicht zuständig, sondern überlässt das Thema zivilgesellschaftlichen Organisationen bzw. den Wohlfahrtsverbänden. In einigen wenigen Unterkünften wird nun intensiv an der Versorgung mit WLAN gearbeitet, auch auf städtischer Ebene und in anderen Netzwerken hat das Thema mit Corona eine neue Dringlichkeit bekommen. Das Netzwerk hat hierüber hinaus Laptopspenden organisiert, um für Einzelpersonen digitale Angebote verfügbar zu machen. „Es bleibt viel zu tun und jeder Einsatz ist wünschenswert: Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, an Homeschooling teilzunehmen, sollte für alle Menschen in München – mit und ohne Fluchtgeschichte – selbstverständlich sein“, so Agnes Fuchsloch von Bellevue di Monaco e.G.
Forderungen des Netzwerks
Deutschlandweit und auch in München war zu sehen: Von der Pandemie besonders stark betroffen sind Menschen in Massenunterkünften – und damit besonders Geflüchtete: Sie haben keine Möglichkeit, sich durch Abstand oder umfangreiche Hygienemaßnahmen zu schützen, sie haben oft keinen Zugang zu ausreichenden Informationen über die Hintergründe der Beschränkungen, keine Möglichkeiten der Teilhabe, sei es beim Homeschooling oder am gesellschaftlichen Leben durch die Zugangsbeschränkung von Sozialdiensten, Ehrenamtlichen und fehlendem WLAN. Auch die psychische Belastung durch den Lockdown war bei vielen Menschen im Asylverfahren enorm. Nicht nur im Fall einer Unterkunft in Quarantäne wird fremdbestimmt, welche externe Hilfe sie annehmen dürfen – so entscheiden andere wie die Regierung oder die Betreiber der Unterkünfte, ob und zu welchem Grad Ehrenamtliche Zugang erhalten um zu unterstützen. Wir sind deshalb auch im Hinblick auf zukünftig ähnliche Situationen der Meinung: Die Unterbringung von Schutzsuchenden in Gemeinschaftsunterkünften potenziert die schwierige Situation einer Pandemie für die Betroffenen und bringt die Arbeit der Organisationen an beinahe unüberwindbare Grenzen. Neben dem daraus resultierenden Appell, Gemeinschaftsunterkünfte generell aufzulösen, fordert das Netzwerk:
- die Schaffung menschenwürdiger Versorgungssituationen für die Unterkünfte in Quarantäne sowie Verbesserung der Wohnsituationen der Geflüchteten in Hinblick auf benötigte Hygienemaßnahmen
- eine Einigung auf trägerübergreifend akzeptierte Online-Tools zur digitalen Vernetzung
- Internetzugang in allen Gemeinschaftsunterkünften und in jedem Haushalt sowie die Versorgung mit Endgeräten in benachteiligten Haushalten und Gemeinschaftsunterkünften, Umsetzung des Konzeptes der Schulcamps durch eine Organisation
Da aktuell die Corona-bedingten Anpassungen seltener geworden sind und existierende Strukturen sowie Netzwerke wieder die Arbeit in gewohnten Bahnen aufnehmen konnten, hat das „Netzwerk Soforthilfe für Geflüchtete München“ die noch offenen Themen an bestehende Organisationen und Netzwerke übergeben. Bei einer zweiten Welle kann die Arbeit jedoch sofort wieder aktiviert werden. Die Koordinator*innen geben ihre Erfahrungen gerne an Organisationen anderer sozialer Bereiche weiter.
Zentrale Ansprechperson des Netzwerkes ist Nicole Flach von Lichterkette e.V., die bei Rückfragen gerne zur Verfügung steht.