Aktuelles aus München
Zu Wort kommen in München © Gemeinsam für Menschenrechte und Demokratie

„Wehret den Anfängen!“ - auf der Suche nach einem neuen Narrativ

Auf dem Auftakttreffen zu einem neuen zivilgesellschaftlichen Bündnis haben sich ehrenamtliche Flüchtlingshelfer mit zahlreichen Menschenrechtsorganisationen und NGOs darüber ausgetauscht, wie sich in ihrem Alltag der Rechtsruck äußert. Die etwa 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sammelten bedenkliche Beispiele, aber auch Ziele, aktuelle Themen und praktische Ideen, die für das neue Bündnis bedeutsam, aber auch eine große Herausforderung sind.

Die „Verrohung“ der Sprache

Kalt aber rappelvoll war es am 5. Februar im Feierwerk. Thomas Lechner, Initiator von „Gemeinsam für Menschenrechte und Demokratie“ und Gastgeber des Auftakttreffens eines neuen zivilgesellschaftlichen Bündnis von Ehrenamtlichen und NGOs (mehr dazu auf der Website der Initiative), beschrieb in seinen einleitenden Worten die Frustration und Krise der freiwilligen Helferinnen und Helfer: Gerade am Beispiel der „Lager“ wie in Manching werde deutlich, wie die Regierung versucht in weichen Worten zu kaschieren, welche Ausgrenzungspolitik von der CSU verfolgt wird. Vom noch etwas harmlos klingenden „Transitzentrum“ zur „Ankunfts- und Rückführungseinrichtung“ (ARE), vom schon blasphemischen „Rückkehrzentrum“, liebevoll "AnKer" abgekürzt, zum „Landesamt für Asyl und Abschiebung“. Letzteres hatte der Ministerpräsidentschaftskandidat Markus Söder im Rahmen seines Wahlkampfsauftakts vor wenigen Wochen ins Rennen geworfen. Es stellt keine Unterbringungsform mehr dar, sondern kann zum neuen Symbol für den bayerischen Sonderweg in der Asylpolitik werden.

Auch aus dem Münchner Landkreis melden sich einige Helferinnen zu Wort: Das Schreckgespenst der Abschiebung zerstöre viele Bemühungen um Integration. Es sei mehr als verständlich, dass in der nagenden Situation der Unsicherheit Geflüchtete demotiviert und verzweifelt sind. Es wird von Alkoholmissbrauch berichtet, von aggressiven Eskalationen bis hin zu Suizidversuchen. Aus Erding und aus Landshut, aus Regensburg und Dachau - alle wünschen sich, dass das Bündnis weit über München hinaus strahlen und wirken kann. Auch die anwesenden Münchnerinnen und Münchner fühlen sich in der Verantwortung: Den meisten ist bewusst, dass es in unserer Stadt vor allem deshalb „besser“ läuft, weil die Stadtpolitik Sonderregelungen getroffen hat, die tatsächlich der Integration nutzen. So können z.B. alle in München untergebrachten Menschen, unabhängig von der Bleibeperspektive einen Deutschkurs besuchen und der Betreuungsschlüssel in der Asylsozialarbeit ist in den Unterkünften realistischer. Auch die ehrenamtlich Engagierten werden besser unterstützt – wie lange dies jedoch noch anhalten wird ist offen. Der schon seit einem halben Jahr angekündigte Gesamtplan Integration lässt weiterhin auf sich warten und viele Projektfinanzierungen, so auch die vom Projekt Willkommen-in-München.de, stehen auf dem Prüfstand, wenn Ende dieses Jahrs die Förderperiode ausläuft.

Die Krise der Engagierten

Die Krise ist gekennzeichnet vom Zuspitzen einer Entscheidungssituation, begleitet von zunehmender politischer Instabilität, die ihren Gipfel oft darin findet, dass bewährte Handlungsmuster nicht (mehr) funktionieren. Das Festhalten am Mantra der Kanzlerin aus 2015 „Wir schaffen das“ trägt nicht mehr – längst steht nicht mehr nur ein Fragezeichen am Ende des Satzes. Bereits seit dem letzten Jahr ist zunehmend zu erkennen, dass sich Helfende in zwei Gruppen teilen: die, die nicht mehr bereit sind hinzunehmen, welche Steine ihnen und ihren Schützlingen in den Weg gelegt werden und sich zunehmend politisieren; und eine andere Gruppe, die offen „nicht-politisch“ sein will. Sie halten zwar am Engagement fest, fürchten aber in der Öffentlichkeit „unangenehm aufzufallen“. Woher kommt das?


Hört man an diesem Abend die Geschichten, wie Nachbarn sich „hinterrücks das Maul zerreißen“, wie Freunde und Verwandte neue Worte wie „Überfremdung“ in den Mund nehmen, wie fast alle erleben mussten, dass ihr Engagement für die Geflüchteten in Frage gestellt wird, so löst dies eine Bandbreite von Gefühlen von Beklemmung bis Angst, von Entrüstung bis Hilflosigkeit aus.

„Müssen wir Flugblätter verteilen oder schon Anschläge planen damit man uns wahrnimmt? „Linke“ sind doch alles gewaltbereite Autonomen!“

Gerade die Helferinnen, die sich schon lange engagieren und bereits vor der „Welle“ (wars eine Flüchtlingswelle oder eine Helferwelle in 2015?) aktiv waren, fragen sich, wie das Alles weitergehen wird. Die Veränderungen der letzten zwei Jahre haben überwiegend Verschlechterungen gebracht. Wie lange wollen oder können sie noch „zusehen“?
In Whatsapp-Gruppen und auf Facebook mehren sich virale Bildchen: es sind braune Fotos aus der Zeit vor 70 Jahren mit schlauen Sprüchen, wie es damals begann. Was damals „schief“ ging, darf sich nicht wiederholen – dieser historischen Verantwortung sind sich alle bewusst.

In der emotionalen Verzweiflung liegt der Vergleich nah. Die Metaphern von Verfolgung und Widerstand sollen Kraft geben und Zusammenschweißen. Es darf „krass“ sein, denn es muss ja aufrütteln. Da aber alle Krisen unterschiedlich in Komplexität und Beschaffenheit sind, ist ein Transfer nicht immer zulässig und der NS-Vergleich an dieser Stelle aus unserer Sicht fahrlässig, wenn nicht sogar gefährlich, da sich auch die Rechten dieser Metaphern bedienen.
Flüchtlinge sind Opfer, aber es ist nicht „das Gleiche“, wenn sie von staatlicher Hand in ein Bürgerkriegsland abgeschoben werden, wie wenn 1943 ein Zug nach Ausschwitz fährt. Sie sind Opfer von Verfolgung in ihrem Heimatland, suchen bei uns eine neue Zukunft, welche ihnen aber Großteiles auf Grund von Bürokratie und dem „bayerischen Weg“ verwehrt bleibt. Natürlich ist es umso ungerechter wenn auch Integrationsleistungen nicht mehr gewürdigt werden und selbst die abgeschoben werden, die in Ausbildung sind, doch im weiß-blauen Ermessensspielraum die 3+2-Regelung nicht immer gilt.

Für die Ehrenamtlichen ist es aber noch schwieriger: Sie leben schon lange hier und wollen Menschen unterstützen hier ebenfalls Fuß fassen zu können. Auf einmal werden sie von ihren Mitbürgern gemieden, im Alltag ausgegrenzt. Nachbarn wenden sich von „links-versifften Gutmenschen“ ab, von den „Teddywerfern“ und „Welcome-Klatschern weil sie einen an der Klatsche haben“ ist häufig die Rede. Es gipfelt in persönlichen Nachrichten, in dem einer Engagierten Vergewaltigung durch die „neuen Fachkräfte“ gewünscht wird. 
Wer wird jetzt verfolgt?

Migration ist vermutlich die größte Herausforderung des Jahrhunderts für unsere Gesellschaft. Trotzdem wird im öffentlichen Diskurs das „Flüchtlingsthema“ bisweilen wie ein vorbeiziehendes Phänomen beschrieben. Agitatoren machen Hoffnung darauf, dass mit schärferen Gesetzen, verhindertem Familiennachzug und schneller durchgeführten Abschiebungen bald alles wieder vorbei und „wie früher“ sei. Das „früher“ meint aber meist nicht mal die Nazi-Zeit, sondern eine einfache Biedermeierwelt vor der komplexen Globalisierung.

Wunsch nach mehr Zivilcourage und Zusammenhalt

Am Ende des Treffens sind alle vier Stellwände prall gefüllt. Gerade die Tafel mit den Zielen motiviert: Eine offene Gesellschaft braucht die Vielen, aber sie braucht vor allem auch die Vielfalt. Nur gemeinsam wird es gelingen. Gerade die Organisationen, die nicht unmittelbar im Flüchtlingsfeld tätig sind, verstehen an diesem Abend das Dilemma besser und sind dankbar über die Informationen aus erster Hand.  Trotzdem wird die Arbeit des neuen Bündnisses kein Spaziergang: es gilt den Mittelweg zu finden zwischen „not just another Bündnis gegen Rechts“ und dem Vermeiden einer Hyperstruktur, die allen nur mehr Arbeit macht und im Meta erstickt. Wer schon engagiert ist, kann oft nicht noch mehr geben. Die Mehrheit wünscht sich mehr Präsenz im öffentlichen Raum und vor allem in den Medien. Aber: nicht jede kann sich vorstellen das eigene Portrait in die Welt hinaus zu tragen.
Die andere Geschichte zu erzählen und zu sagen „es geht wirklich anders“, fordert von den Helferinnen und Helfern viel, vielleicht auch zu viel. Der Schulterschluss mit den etablierten Organisationen und Verbänden ist ein Versuch die Last mit denen zu teilen, die noch schultern können. Es ist ihre Aufgabe, die Zivilgesellschaft bei ihrem Appell an Menschenrechte und Demokratie zu unterstützen.

Auf der Suche nach dem neuen, anderen Narrativ(en) wird es aber auch etwas brauchen, was den Freiwilligen langsam aber gewiss ausgeht: Geduld. Gegen den Fremdenhass ist leicht gesagt, doch was stattdessen? Nur wenn wir wissen was wir erzählen, wirkt es nicht so, als ob wir einfach nur reagieren. Mehr und mehr sind in „Fremdenhass“, wie an dem Abend deutlich wurde, nicht nur vermeintlich fremde Flüchtlinge inkludiert, sondern alle, die sich mit Flüchtlingen solidarisieren.
Das Wort hat zwei Dimensionen: die Fremden, was neben den Geflüchteten alle mit Migrationshintergrund umfassen kann, und den Hass, der gerade im Internet immer hemmungsloser ausgelebt wird. Eine anderes, selbstbewusstes Narrativ zu Fremdenhass kann ein wortwörtliches Gegenteil dazu sein (und dabei gibt es das schon länger als den Fremdenhass!): die Nächstenliebe.

Wir erzählen positive Beispiele – erzählen Sie uns Ihres!

In unserem Magazin stellen wir in der Rubrik „Leuchtende Beispiele“ regelmäßig gelungene Geschichten der Integration und des ehrenamtlichen Engagements dar. Wir freuen uns über Zuschriften und Menschen, die wir portraitieren dürfen. Niemand muss bei uns darum fürchten verunglimpft zu werden und eine Veröffentlichung als Pseudonym ist möglich.
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Autor*In:
Triz Heider