Leuchtende Beispiele
Peter Waldheim und Absolventin Sara

12 Mal hab ich jetzt schon Abschluss gemacht

Peter Waldheim ist einer der ersten Münchner Schülerpaten. Für manche Jugendlichen ist er ihre letzte Chance.

„Dann nehm ich jetzt doch einen Kuchen. Auch einen Apfelkuchen, bitte.“ Peter Waldheim lächelt verlegen die Cafébedienung an, wendet sich sofort mir zu und bedankt sich für die Tasse Kaffee und den Kuchen. Was er in unserem gemeinsamen Gespräch noch viele weitere Mal tun wird. Der Maschinenbauingenieur hat einen wachen Blick, helle Augen, eine feste Stimme, Runzelfalten auf der Stirn und Schmunzelfalten um den Mund. Seit acht Jahren ist er Schülerpate. „Am liebsten mach ich mit meinen Schülern Mathe und Deutsch. Und wenn wir dann gemeinsam den Schulabschluss geschafft haben, freuen wir uns zusammen.“

Die Lehrer tun ihr Bestes

Wenn die letzte Chance für’s Quali ansteht und in drei Monaten die Prüfung ist, aber die Lehrer nicht mehr wissen, wie sie diesen jungen Menschen durch den Abschluss bekommen, weil das Prozentrechnen nicht sitzt, dann sprechen sie Peter Waldheim an. Er erzählt mit Begeisterung von seinem Ehrenamt und seinen Jugendlichen; aber er spricht auch verständnisvoll und anerkennend von den Lehrkräften. Was er mache, das sei im Schulalltag nicht realisierbar und könne auch nicht vom Staat übernommen werden. Die Lehrer tun ihr Bestes und sind äußerst bemüht, dennoch schaffen es viele Schülerinnen und Schüler nicht durch das Quali. Warum eigentlich, das versteht er nicht, sagt Peter Waldheim. Dabei legt sich seine Stirn sorgenvoll in Falten und sein Blick wird traurig. Man sieht, dass es ihn ernstlich betrübt. Er würde sich wünschen, dass alle jungen Menschen gute Chancen haben ihr Leben aufzubauen in geregelten Strukturen und mit einem guten Job. Aber allen kann er auch nicht helfen. Derzeit betreut er einen 7.-Klässler am gymnasium und einen 5. Klässler in der Mittelschule.

„Häufig geht es gar nicht um Mathe.“

Aber warum ist Mathenachhilfe nicht leistbar durch den Staat? Ist es nicht seine Aufgabe und die der Schulen, junge Menschen angemessen zu fördern?

„Die Lehrer bieten freiwillige Extranachhilfe ja an. Aber dazu muss der Schüler erstmal selbst hingehen. Da ist er aber in einer Gruppe mit 10 oder 12 anderen. Der Lehrer kann nicht auf jeden einzeln eingehen und seine Probleme. Und dann liegt die Ursache vielleicht auch einfach woanders. Im Privaten oder im Seelischen. Ich mach mit meinen Patenschülern sehr viel mehr als nur Mathe – und manchmal gar nicht Mathe.“

Er erzählt beispielhaft und lebendig von seinen Schülern. Zu vielen von ihnen hat er immer noch Kontakt. Von Mirko*, der zwei Monate vorm Quali immer noch nicht Prozentrechnen konnte. Und bei dem die Lehrerin im Vorabgespräch schon sagte, er werde testen, ob er gemocht wird. Tatsächlich war eine der ersten Fragen:

„Magst Du mich?“ – „Ja, ich mag Dich Mirko.“ – „Kleine Leute mag man doch nicht!“ – „Du bist heute freiwillig gekommen. Also mag ich Dich.“

 

Mirko war eine der härtesten Nüsse und es war eine Herausforderung ihm Prozentrechnen beizubringen. Irgendwann als es nicht mehr weiter ging, fragte Peter Waldheim etwas ganz anderes. Er fragte, was Mirko sonst eigentlich gern macht, was seine Leidenschaft ist, sein Hobby. Und dabei kam heraus, dass er Basketball liebte. Doch wegen seiner Körpergröße hatte ihn der Trainer aus dem Verein ausgeschlossen. Peter Waldheim recherchierte – und fand heraus, dass einer der bestem Basketballprofis, Early Boykins, gerade mal 1,65 Meter groß war. „Nur 1,65 Meter?“, fragte Mirko. Peter Waldheim recherchierte weiter und fand einen Sportverein, der Mirko in seine Mannschaft aufnahm. Sein Quali hat er dann geschafft – und Industriekaufmann gelernt.

„Du warst der einzige, der an mich geglaubt hat“

Oder Ahmad*. Der erste Flüchtlingsjunge unter Peter Waldheims Schülerpaten, aus einer afghanischen Familie. Trotz intensivem Üben und obwohl Ahmad offensichtlich alles verstanden hatte, wurden die Noten nur schlechter. Peter Waldheim war ratlos und wollte bereits aufgeben. Doch das Netzwerk Münchner Schülerpaten lässt seine Ehrenamtlichen nicht allein. In einer Supervision besprach der Pensionist den Fall mit einer Supervisorin. Dabei kam zu Tage, dass der Junge, der vier Brüder hatte, vermutlich unter sehr hohem Leistungsdruck aus dem Elternhaus litt. Der Rat der Expertin: „Fragen Sie ihn, was er einmal werden möchte. Wenn er sofort Anwalt oder Arzt antwortet wissen Sie, dass wir richtig liegen.“ Die Lösung der Supervisorin: Auf gar keinen Fall mehr Mathe machen. Peter Waldheim ging nach Hause – wohl gemerkt wütend und dachte sich: „Die spinnt.“

Aber er folgte ihrem Rat. Tatsächlich antwortete Ahmad noch bevor die Frage zu Ende war mit: „Arzt!“ Er wolle den M-Zweig machen, um eine Mittlere Reife zu schaffen, auf die FOS gehen und irgendwann Arzt werden. Also recherchierte Peter Waldheim fortan mit Ahmad was Ärzte eigentlich so im Berufsalltag tun, wie man Arzt wird, organisierte Gespräche mit befreundeten Ärzten – oder sie gingen einfach Eis essen oder spielten Ball im Stadtpark.

Ganz von alleine wurden in Mathe aus Fünfern Einser. Schließlich gründete Ahmad sogar eine Mathenachhilfegruppe in der Schule. Peter Waldheim gesteht: „Es war nicht leicht aufzuhören Mathe zu machen. Aber es wirkte. Er war plötzlich entspannt, nicht mehr immer müde, leichter, nicht mehr so ernst und müde – einfach wieder ein Junge.“

Im September beginnt Ahmad sein Medizinstudium in Deutschland.

Ahmad selbst hat einmal zu Peter Waldheim gesagt:

„Du warst der einzige Mensch, der an mich geglaubt hat. Das hat mir Mut gegeben.“

Flüchtlinge begleiten

Peter Waldheim versuchte auch ein weiteres Mal einen Flüchtlingsjungen zu begleiten. Diesmal einen unbegleiteten Minderjährigen. Der Schüler hatte bereits die Mittelschulprüfung bestanden und er erhielt auch einen Ausbildungsplatz. Waldheim bot an, weiterhin Deutsch zu lernen zum Durchstehen der Berufsschule. Erfahrungsgemäß ist für viele die Berufsausbildung nach einem halben Jahr beendet, wenn die Berufsschule schlechte Noten bescheinigt. Diese Erfahrung wollte er ihm ersparen. Es klappte jedoch nicht. Peter Waldheim hat die Betreuung abgebrochen. „Ich hatte sehr viel von dem was in ihm vorgeht einfach nicht nachvollziehen, mich nicht in ihn hineinversetzen können. Im Nachhinein hätte ich vieles anders gemacht, trotzdem war der Abbruch für mich die richtige Entscheidung.“ Beim Abschlussgespräch sagte sein Schützling zu ihm:

„Du aus mir Professor machen wollen“

Das verdeutlichte Peter Waldheim, dass für Integration noch sehr viel mehr geleistet werden müsse. Zum Beispiel müsse erstmal für Berufsbilder und Ausbildungswesen sensibilisiert werden. Peter Waldheim wird dennoch weiterhin auch Flüchtlinge als Pate betreuen: „Ich werde angesprochen und versuche jedem Schüler gegenüber gleich offen anzugehen. Ich suche nicht bewusst Flüchtlingskinder, aber ich nehme sie natürlich gerne, wenn sie Unterstützung brauchen. Migrationshintergrund haben sowieso fast alle meiner Schüler.“

Und inzwischen lese ich Bücher…

Den Rückschlag bei dem Einzelfall ist für ihn in Ordnung. „Es lag auch an den Rahmenbedingungen. Bei Ahmad hatte ich gute Ansprechpartner mit Schule und Elternhaus, mit der Wohngruppe war es deutlich schwieriger zuverlässige Ansprechpartner im Hauptamt zu finden, die mein Ehrenamt gewertschätzt und sich Zeit genommen haben.“ Er denkt lieber daran, wie viele Schulabschlüsse er seit seinem Renteneintritt nun gemacht hat und was aus seinen Schülern geworden ist. Ist es das, was ihn für das Ehrenamt begeistert? „Das Ehrenamt gibt mir vieles. Noch in dem Jahr als ich in Rente ging, habe ich angefangen, mich zu engagieren. Ich mache etwas Sinnvolles mit meiner Zeit und kann sie doch völlig frei einteilen. Ich steuere Zeitaufwand und Intensität.“ Peter Waldheim fällt noch vieles mehr ein. Dass er zum Beispiel angehalten ist zuhause aufzuräumen, wenn sein Schüler zur Nachhilfe kommt, sodass kein Chaos am Schreibtisch ausbricht. Oder, dass er inzwischen gerne Literatur liest. Denn wenn ein Schüler ein Referat halten muss und Unterstützung braucht, dann liest Peter Waldheim ebenfalls das Buch, um ihm zu helfen. So fand er selbst zu einem ganz neuen Hobby.

„Es ist aber vor allem die Begegnung mit den jungen Menschen selbst. In ihnen ist noch so viel Talent, Träume, Neugier und Begeisterung. Sie haben noch ein ganzes Leben vor sich, das sie gestalten können. Jeder stellt eigentlich irgendwann die Frage: Warum hilfst Du mir? Warum machst Du das in Deiner Freizeit. Und ich sage ihnen dann immer: Jetzt helfe ich Dir. Und wenn Du einmal so alt bist wie ich, wirst Du auch wieder anderen helfen.“

*Namen von der Redaktion geändert

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