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Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen – Christiane Hacker erzählt von der Arbeit der Initiative

In der Initiative „Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen“ engagieren sich über 100 Asylhelfer*innen im Stadtbezirk Bogenhausen für Geflüchtete. Der Helferkreis hat die Bewohner*innen der damaligen Notunterkünfte in der Fideliostr., Truderingerstr., Max-Pröbstl-Straße und Richard-Strauss-Straße unermüdlich unterstützt. In der GU Richard-Strauss-Straße haben zu Spitzenzeiten 800 Personen gelebt. Viel Hilfe wurde auch vom Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium und der Rudolf-Steiner-Schule geleistet. Aktuell ist der Helferkreis in den Wohnheimen in der Kronstadter Straße, Klausenburger Straße, Burgauerstraße, Truderingerstraße und Max-Pröbstl-Straße aktiv. Andreas Voßeler (Willkommens-Team) von „Willkommen-in-München.de“ hat sich mit Christiane Hacker (CH), Mitglied des Flüchtlingsbetreuungs-Teams, zum Interview getroffen.

Willkommens-Team: Frau Hacker, Sie sind Mitglied der Initiative „Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen“. Wie lange gibt es den Helferkreis und was war der Anlass zur Gründung?

CH: Der Helferkreis in Bogenhausen hat sich während des Jugoslawienkriegs gegründet, um die ersten Flüchtlinge aus diesem Krieg, die nach München kamen, zu betreuen. Die erste Unterkunft wurde in der Max-Pröbstl-Str. gebaut. Zusammen mit Pfarrer von Egloffstein schloss sich der Helferkreis zur Initiative „Miteinander leben in Daglfing“ zusammen. Die Unterkunft gibt es bis heute und wird von anerkannten Asylbewerbern bewohnt. Als dann immer mehr Flüchtlinge kamen, wurde in Bogenhausen eine weitere Unterkunft für 120 Flüchtlinge gebaut. Der Bezirksausschuss 13 Bogenhausen einwickelte die Idee, diese Unterkunft im Nachhinein als Jugendhaus weiter zu nutzen, wenn die Geflüchteten wieder ausgezogen sind. Das Sozialreferat und der Stadtrat konnten überzeugt werden. Nicht nur eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung, sondern weitere Hilfsangebote waren die Folge.

2014 kamen dann erneut Geflüchtete nach Bogenhausen, diesmal vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die aus Kriegsgebieten – unter anderem – im Nahen Osten geflohen sind. Um den besonderen Herausforderungen dieser Rechnung zu tragen, hat der Kreisjugendring München damals beschlossen, ihre bestehenden Jugendhilfeeinrichtungen zur Hälfte erneut mit jugendlichen Flüchtlingen zu belegen. So sind in das Haus am Fideliopark wieder Schutzsuchende eingezogen. Aus diesem Anlass habe ich Kontakt zum ehemaligen Helferkreis aufgenommen. Ich erhielt großen Zuspruch, die Helfer wurden zunehmend zahlreicher und aktiver. 2015 wurde dann die Notunterkunft in der Richard-Strauss-Str. mit bis zu 800 Geflüchteten eröffnet.

Ich erinnere mich an ein Info-Treffen des Helferkreises, bei dem ich ca. 100 Leute erwartet hatte und zu dem dann 250 Interessierte gekommen sind. Ich hatte an dem Abend ein Sparschwein aufgestellt, in dem am Ende 1000€ Spenden drin waren. Es hat mich sehr bewegt, wie großherzig und freigiebig die Leute Geld und auch Arbeitszeit gespendet haben. Alles was wir tun mussten, war, die Leute nach ihren Interessen einzuteilen. Die einen wollten Deutschkurse geben, andere wollten lieber in der Kleiderkammer oder in der Kinderbetreuung tätig werden, wieder andere organisierten Ausflüge, um den Bewohnern München zu zeigen oder erklärten den Neu-Münchnern das MVV-Tarifsystem. Wir boten Kochkurse an, in denen Geflüchtete ihre heimatlichen Gerichte kochen konnten und unverkrampft ihre Heimatmusik spielen konnten. Jeder Kochabend war eine Party!

Willkommens-Team: Heute ist die „Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen“ in den Unterkünften für Asylbewerber*innen vor allem in der Burgauerstr. und in der Kronstadter Str. aktiv. Welche Tätigkeiten machen die Ehrenamtlichen heute in diesen Häusern?

CH: Es gibt eine Hausaufgabenbetreuung, für die wir aktuell recht viele Helferinnen haben, sodass es tatsächlich möglich ist, dass immer 2-3 Kinder eine Betreuerin haben. Diese fast private Betreuung bringt die Kinder in allen Schulleistungen und in der deutschen Sprache sehr vorwärts. Außerdem gibt es eine Kleinkindbetreuung von 0-6 Jahren. „Mama lernt Deutsch“ ist ein Projekt, bei dem Analphabetinnen mit kleinen Kindern Deutsch lernen können. Das ist häufig sehr herausfordernd, weil es Frauen anspricht, die noch nie ein Bildungsangebot hatten. Aus einem Bauwagen heraus erhalten die Kinder nachmittags ein Kultur- und Kunstprogramm. Die Jugendlichen der Unterkunft werden regelmäßig von Jugendlichen des nahen Wilhelm-Hausenstein-Gymnasiums und der
Europäischen Janusz Korczak Akademie besucht, gemeinsame Unternehmungen, Gesprächsabende und Partys werden veranstaltet. Am Freitagnachmittag gibt es ein regelmäßiges Sportangebot in der Sporthalle des Wilhelm-Hausenstein-Gymnasiums. Die beiden Sportlehrer unterrichten dann ehrenamtlich.

„Weihnachten im Schuhkarton“ (letztes Jahr wurden 300 Geschenkkartons gepackt) ist ein weiteres Unterstützungsprojekt des Wilhelm-Hausenstein-Gymnasiums. Wir haben inzwischen auch Radl-Werkstätten eingerichtet, für die wir dringend noch Helfer für Reparatur und Ausschlachten alter Räder suchen.

Willkommens-Team: Gibt es auch Patenschaften von Menschen im Stadtteil, die einzelne Geflüchtete bei verschiedenen Anliegen über einen längeren Zeitraum unterstützen?

CH: Ja, diese Paten gibt es. Manche unterstützen sogar zwei oder drei Geflüchtete. Sie unterstützen die Geflüchteten sehr individuell und begleiten ihre Schützlinge z.B. auch zu Gerichtsverfahren bezüglich ihres Asylantrags. Paten motivieren auch ihre Schützlinge, wenn diese in ihren Ausbildungen Motivationskrisen haben. Manche Paten nehmen ihre Schützlinge auch zu Familienfeiern mit oder machen mit ihnen Ausflüge außerhalb der Stadt, damit sie Bayern kennen lernen oder sie organisieren kostenlose Karten für Kulturveranstaltungen.

Willkommens-Team: Nun gibt es ja auch in München nicht nur Menschen, die Flüchtlinge unterstützen oder ihnen positiv gegenüber eingestellt sind, sondern auch Bedenkenträger*innen oder sogar Menschen, die sich offen rassistisch äußern. Wie sehen die Erfahrungen der freiwilligen Helfer*innen mit solchen Menschen aus?

CH: Bevor die neuen Unterkünfte eröffnet wurden gab es viel Gegenwind und sehr starken Bürgerprotest dagegen. Unsere Erfahrung zeigt: wenn die Geflüchteten einmal da sind, werden diese Ängste kleiner. Wenn die Anwohner die Schutzsuchenden erst einmal persönlich kennen gelernt haben, hören die Ressentiments auf, denn die Befürchtungen sind nicht eingetreten. Bogenhausen ist mit ca. 86.000 Einwohnern der drittgrößte Stadtteil Münchens. Unsere Polizei betont auf jeder Bürgerversammlung, dass außerhalb der Unterkünfte die Kriminalität in Bogenhausen NICHT angestiegen ist. In den Unterkünften gibt es manchmal Fälle, die einen Polizeieinsatz rechtfertigen. Doch das unterscheidet sich von keinem Massenlager, gleich in welchem Land, gleich mit welchen Bewohnern.

Willkommens-Team: Wie nehmen freiwillige Helfer*innen den restriktiven Kurs der Landesregierung in Wort und Tat wahr? Wie kommt es bei freiwilligen Helfer*innen in der Flüchtlingshilfe an, wenn die CSU von Dingen wie Asyltourismus spricht oder Herr Seehofer sich an seinem Geburtstag über 69 Abschiebungen nach Afghanistan freut bzw. ANKER-Zentren eröffnet?

CH: Menschen, die seit längerer Zeit in der Flüchtlingshilfe tätig sind wissen, dass dies ein politischer Kurs ist, der aus menschlicher Sicht nicht tragbar ist. Das ist auch meine Meinung. Natürlich gibt es dann auch die Bürgerinnen und Bürger, die sich von den konstruierten öffentlichen Ängsten einschüchtern lassen. Auch die Medien tragen dazu bei. Aus Sensationsgier und durch das Schielen auf Auflagen und Einschaltquoten sind sie eher bereit, nur über die schlimmen Auswüchse der Fremdenfeindlichkeit zu berichten. Dass der größere Teil unserer Bevölkerung zum friedlichen Miteinander beiträgt, wird völlig ausgespart, außer es gibt mal eine Demonstration. Daher kreide ich die fremdenfeindliche Stimmung gegen Flüchtlinge in erster Linie diesen Medien an, die einseitig negativ, sensationslüstern und unreflektiert berichten und dadurch die öffentliche Meinung gegen Flüchtlinge manipulieren und aufhetzen.

Forderungen von Politikern sind vielfältig, auch wenn die Bürger dies nicht so wahrnehmen. Viele Forderungen dienen der Selbstdarstellung oder der Wichtigmacherei von Politikern. Erst wenn die Medien diese Forderungen aufbauschen, wird eine Stimmung geprägt, die mir große Sorgen macht. Leider sind da auch namhafte Tageszeitungen mit dabei, es sind nicht nur die kleineren Blättchen.

Willkommens-Team: Welche konkreten positiven Erlebnisse haben Sie und die Helfer*innen mit Geflüchteten in der letzten Zeit gemacht?

CH: Ich habe 2016 in der Notunterkunft in der Richard-Strauss-Str. einen 18-jährigen Syrer wieder getroffen, der zwei Jahre vorher als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in dem Kreisjugendring-Haus am Fideliopark gelebt hatte und den ich aus dieser Zeit kannte. Er musste, jetzt als Erwachsener, zur Überbrückung kurze Zeit in der Notunterkunft Richard-Strauss-Str. wohnen. Er sprach ein akzentfreies Deutsch mit bayrischem Einschlag. Dieser junge Mann hat mir erzählt, dass er nach seinem Schulabschluss 2017 eine Ausbildung in Aussicht hat, in einer Stelle, in der er bereits zweimal als Praktikant tätig gewesen war. Er und sein älterer Bruder haben es geschafft, ihre Mutter nach Deutschland nachzuholen und in wenigen Tagen werden sie in München zusammen in eine Wohnung ziehen, die der Bruder bereits organisiert hatte. Ich habe diesen jungen Mann 2014 als jungen Kerl erlebt, ganz frisch in Deutschland, stark traumatisiert, der manchmal nächtelang durchgeweint hat. Dazu war er ein echtes Schlitzohr. Diese Erfahrung hat mich bestärkt, weiter zu machen. Heute stärken mich die Berichte der freiwilligen Helfer, die mir erzählen, welche positiven Entwicklungen ihre Schützlinge durch die 1:1 Unterstützung machen. Ich wünschte, dass jeder Geflüchtete die Möglichkeit einer solchen Patenschaft bekommt.

Was mich auch immer froh stimmt, ist die Hilfsbereitschaft der Geflüchteten. Wenn ich mit vollen Taschen bepackt die Unterkunft betrete, kommt sofort ein junger Mann auf mich zu: „Mama, darf ich dir helfen“ oder „Mama, ich trag das für dich“. Die Hilfsbereitschaft der Mehrheit der Geflüchteten, speziell der jungen Männer, ist enorm und der Respekt älteren Frauen gegenüber ist ungewohnt hoch. Die Begegnungen sind geprägt von gegenseitigem Respekt und von Toleranz, vom miteinander lachen und mitfühlen. Das ist die beste Basis für gute Integrationsarbeit.

Willkommens-Team: Frau Hacker, an wen können sich interessierte Freiwillige wenden, wenn sie mehr erfahren oder sich sogar engagieren wollen?

CH: Interessierte können sich sehr gerne an mich wenden. Meine Kontaktdaten sind:

Christiane Hacker

„Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen“
Leisnerweg 33, 81929 München

Tel. 089-95720494, mobil 0176 43 822 807
E-mail: cbhacker [at] t-online.de

Autor*In:
Andreas Voßeler